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Gemeinschaftsleistung: Dacherneuerung einer Kapelle in Tervete Lettland.

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Dieser Artikel in den Mittelrhein Nachrichten aus dem Jahr 2005 ist der eigentliche Auslöser der im Mai 2010 abgeschlossenen Aktion zur Dacherneuerung einer Kapelle in der Nähe einer Kirche in Tervete Lettland. Dachdeckermeister Heinz Lenz und einer seiner Mitarbeiter hatten Schiefersteine an Wintertagen zugehauen und mit auf die Reise nach Lettland gegeben.

Schiefersteine für die Kapelle

Ergänzend zu den Spendenaktionen an Weihnachten 2001 und 2003 konnte der Wunsch der Kirchengemeinde Tervete im Frühjahr 2005 umgesetzt werden, auch das Dach der neben der Kirche stehenden Kapelle zu sanieren. Hierzu wurden von der hiesigen Firma Lenz aus Niederburg zur Kapelle passende Schiefersteine als Dachziegel kostenlos zur Verfügung gestellt, die eine lettische Delegation, die im März 2005 bei der hiesigen Gewerbeschau weilte, im Bus mit nach Tervete nahm.

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Die VG-Delegation beim Besuch 2005 auf dem Weg zur Kapelle neben der Kirche in Tervete. Die von der hiesigen Firma Lenz aus Niederburg gespendeten Schiefersteine werden in Kürze das Dach der Kapelle zieren.

 

 

Im Sommer 2006 weilten die Orts- und Stadtbürgermeister der Verbandsgemeinde in Lettland. Ziel der Reise war, Partnerschaftsprojekte zwischen den Ortsgemeinden zu vermitteln und Kontakte zu den Verantwortlichen vor Ort herzustellen. Die kleine Kapelle in der Nähe einer großen Kirche fand kaum Beachtung. Der Unterzeichner war einer der Wenigen, die sich dem kleinen Gotteshaus näher widmeten. Das Mauerwerk war stark durchnässt, aus dem zum Teil mit Schiefer gedeckten Dach wuchsen aus den offenen ungeschützten Mauern junge Birken, Farne und Saalweiden. Die große Kirche war mittlerweile in einem ansehnlichen Zustand und mit viel Liebe renoviert. Die finanzielle Hilfe der Verbandsgemeinde St Goar Oberwesel war unverzichtbarer Teil des Wiederaufbaus des Gotteshauses, ohne diese Unterstützung wäre die als Pferdestall und Scheune genutzte Kirche weiter verfallen.

Für die etwas am Rand des alten Friedhofs stehende Kapelle fehlten vor Ort jede Geldmittel.

Diese Kapelle wurde im Jahr 1906 als Begräbniskapelle für die Familie von der Pa(h)len erbaut und auch genutzt. Das komplette Bauwerk wurde in Italien aus Sandstein gefertigt und auf dem Seeweg über Riga nach Tervete gebracht. Das Dach der Kapelle war teilweise mit Schiefer gedeckt. Den Fachleuten ist die besondere Steinform der Schiefersteine nicht bekannt. Sowohl das Baumaterial als auch der Baustil der Kapelle haben in Lettland absolute Seltenheit und sind als besonders schützenswert eingestuft. Die Familie von der Pahlen war deutschen Ursprungs und diente den Zaren als Generäle, adelige Gutsbesitzer und Minister. Im Laufe der russischen Zeit nach dem 2. Weltkrieg in Lettland wurde die Kapelle vernachlässigt, die Einrichtungsgegenstände, sofern diese nicht fest eingebaut waren, verschwanden. Ebenso nicht mehr vorhanden ist der Sarg des gort beigesetzten Familienmitgliedes der von der Pahlen. Mittlerweile gehört die Kapelle der Zivilgemeinde Tervete und dient auf dem Friedhof als Begräbniskapelle. Auffällig auf dem Friedhof sind die vielen noch vorhandenen deutschen Grabkreuze und die nicht beseitigten deutschen Inschriften und Schriftzüge in der Kirche.

Nach der Reise im Jahr 2006 fanden sich schnell Unterstützer bei den Niederburger Handwerksmeistern Schink und Lenz. Die Größe des Projektes jedoch war von Niederburger Seite alleine nicht leistbar.

Eine neue Chance tat sich auf, als Mitglieder des Lauderter Gemeinderates mit einer Delegation zur Unterstützung einer Schule nach Lettland reisten. Die mitreisenden Dachdeckermeister, die Gebrüder Leidig, überzeugten sich vor Ort vom Zustand der Kapelle und sagten ein Mitmachen spontan zu.

Die Zusage erreichte nach der Rückkehr der Lauderter schnell Niederburg, ein gemeinsames Planen und Vorgehen wurde zugesagt. Bürgermeister Thomas Bungert, von Beginn seiner Amtszeit an Befürworter der Partnerschaft mit der lettischen Gemeinde, war ein spontaner Unterstützer der Aktion Kapellendach. Seine Bitten um finanzielle Unterstützung des Projektes bei Banken, Geschäftsleuten und Freunden fand großen Zuspruch.

Die Niederburger Vereine widmeten der Kapelle den Gewinn der Niederburger Dorfweihnacht. Fast 2.500€ Reingewinn erfeierten die Besucher in der Vorweihnachtszeit 2009. Die Niederburger Dorfweihnacht widmet sich überwiegend wohltätigen Zwecken. Die beteiligten Ortsvereine stellen seit Bestehen der Veranstaltung den Reingewinn immer für karitative Projekte zur Verfügung.

Geplant und durchgeführt wurde das ganze Partnerschaftsprojekt in seltener Eintracht. Die Meinung, eine große Zahl zusammen treffender Betriebsinhaber und Politiker hätte zur Folge, dass sich jeder profilieren wollte / müsste, traf zu keinem Zeitpunkt zu. Alle Mitreisenden hatten nur ein Ziel: Wir wollen gemeinsam am Samstag nach Hause fahren und hinterlassen ein perfektes, fertiges Kapellendach.

Die Reise.

Zweitausend Kilometer nach Tervete , na ja..... keiner von den 7 Fahrern auf dem Hinweg hatte so recht die Vorstellung, wie man sich bis dorthin plagt. Dreißig Stunden sollte die Reise dauern. Auf der Karte fast nur Autobahnen, es wird schon gehen. Dann aber durch Breslau mit jeder Menge Baustellen, Autobahnen mit Bushaltestellen, Ortsdurchfahrten, Hofeinfahrten .... wir sind es halt nicht so gewohnt. Dranbleiben am Vorderfahrzeug und draufhalten. Holger Link und Seb Vogel vorne, nur sich in diesem Chaos nicht verlieren. Tankstellen suchen alle 500 km, auch bei Nacht, von wegen 24 Stunden offen. 60km fahren, um einen leeren Lkw Tank mit einem Reservekanister wieder nutzbar zu machen. Gott sei Dank, am Sonntagmittag 14:00 Uhr heimischer Zeit sind wir endlich in Tervete.

Arbeitstage.

Von wegen die Frage nach der Rückkunft: "Und wie war`s Abends, war was los?" Morgens 05:30 Uhr, die Ersten stehen auf, 06:00 Uhr eine Tasse Kaffee und gegen 06:30 Uhr sind alle auf der Baustelle ca. 4 km vom Wohnhaus entfernt. Keiner fragt groß oder palavert, alles geht Hand in Hand, keiner ist der Obermeister oder macht den Chef, jeder für jeden könnte man ohne Einschränkung sagen. Der Weg vom Abstellplatz der Fahrzeuge zur Kapelle ist lang, steil und steinig, alles wird von Hand und auf dem Rücken sehr weit getragen. Gerüst, Material und Werkzeug, kein Aufzug alles per Muskelkraft. 09:00 Uhr Frühstück, unsere lettischen Mitstreiter sind auch eingeladen. Meist ruhig oder schweigend die Pause auf dem Friedhof vor der Kirche. Nach einer halben Stunde: Weiter geht es bis zur Mittagspause ohne Unterbrechung. Am ersten Tag: Gerüst zur Kapelle getragen und aufgebaut, Dach aufgerissen, Material vom Parkplatz zur Kapelle transportiert, Balken erneuert, riesiges Uhunest ausgeräumt, Dach doppelt zugeschalt und abgeklebt, erste Abdichtarbeiten der Klempner. 18:30 Uhr Feierabend an der Baustelle, gegen 19:00 Uhr Abendessen noch Sonnenschein. Heinz Lenz und Markus Schink gegen 12:00 Uhr eingetroffen gegen 13:00 Uhr an der Baustelle und im Einsatz. Am zweiten Tag: Linke Seite des Daches komplett gedeckt, rechte Seite aufgerissen, Balken erneuert und doppelt zugeschalt, Blecharbeiten fortgesetzt, Dachrinnen montiert, Mauerwerk mit Blech abgedichtet. ca.19:00 Uhr Feierabend, Regen und elend kalt seit der Mittagszeit. Stimmung pur, im Haus ist eine 20- köpfige Familie in der Sauna zu Gange, wir kommen gut miteinander klar, wir verstehen zwar kein lettisch aber sonst freuen wir uns gemeinsam am Regenabend und der Saukälte. Wodka ist nicht unbedingt unser Geschmack, unseren Gästen schmeckt es. Mittwoch, der dritte Tag: Wieder in aller Frühe zur Baustelle. "Heute wird das Dach dicht", so Mario Leidig: "Heut schaffe mer es". Besuch durch den Bürgermeister Tervetes während des Frühstücks. Wolfgang Schink trifft gegen Mittag ein. Nur kurz aufs Zimmer, gegen 13:00 Uhr auf der Baustelle, macht wenn nötig auch den Handlanger von egal wem. Teamwork halt aber kalt. Mittagessen bei strömendem Regen, Pfanne füllt sich nachkurzer Zeit restlos mit Wasser. Dach zu, nur noch Restarbeiten und Anpassungen. Gegen 18:30 Uhr Regen, klatschnass, kein trockener Faden mehr am Körper, der Kamin brennt im Haus, Duschen, aber der Reihe nach, Aufwärmen ist beim Abendessen angesagt. Bürgermeister Bungert über den Stand der Arbeiten und die Meldung "Dach dicht" per Handy nach Wiebelsheim übermittelt. Donnerstag: Restarbeiten der Klempner mit allen Beteiligten, Aufräumarbeiten rund um die Kapelle mit Lettischer Unterstützung. Unterwegs im Wald einen Richtbaum geschlagen und an der Baustelle geschmückt. Gerüst abgebaut, Lkw beladen und erste Teile verpackt. Baustellenschild mit den Namen aller Beteiligten im Dach der Kapelle installiert. Ab 14:00 Uhr duschen im Haus und danach Tervete -Tourist -Tour bei strömendem Regen. Märchenwald für Kinder aus Rest- und Bruchholz: "Wenn man nichts hat und daraus etwas macht, einfach genial." Gegen 19:00 Uhr nass aber froh im Haus, Abendessen und jetzt ein Bier in der Abendsonne (wo, bei diesem Regen). Angelversuche der Leidig Brüder am See, die armen Fische!

Freitag: Spätes Frühstück gegen 8:00 Uhr, Besuch in Riga: Muss man gesehen haben!! Die Stadt steht keiner westlichen Großstadt nach, tolle Stadt, super instand gesetzt und ansehnlich. Flugplatz: Bgm. Bungert, Kerstin Langenbach- Arend, Reinhold Rüdesheim und Michael Parma abgeholt. Stadtbesichtigung. Zurück nach Tervete: Hier wird der Unterschied zwischen Stadt und Land überdeutlich. Westlicher Standart dort und kärgliche Verhältnisse auf dem Land. Holzhäuser überwiegen, die meisten haben das 19. Jahrhundert schon als Wohnhäuser erlebt. Nachholbedarf ohne Ende.

Einweihungsfeier an der Kapelle durch die Bürgermeister und die Handwerker. Markus Schink spricht den eigens gedichteten Richtspruch für die Kapelle. Urkunden und Dokumente im Kapellendach in einem Glas hinterlegt. Letzte Fotos und Abschied von der Kapelle.

Feier im Gästehaus am See und musikalischer Abend mit Bgm. Bungert am Akkordeon.

Thomas Bungert hat eine Flasche Mirabellenwasser mitgebracht, Flasche leider schon etwas leerer, der Rest duftete herzhaft nach Mirabellen, Thomas Bungerts Anzug auch, Schnaps hat sich im Koffer verselbstständigt.

Samstag: Die Heimreise beginnt, 30 Stunden liegen vor uns und das Zuhause wartet. Herzliche Verabschiedung durch die lettischen Freunde. Welch ein Unterschied, der Weg zur Grenze in Lettland Schotterpiste, ab der litauischen Grenze geteerte Wege und saubere gepflegte Straßen, Städte, Dörfer und Autobahnen. Polen in der Nacht in 13 Stunden und dann in Franfurt an der Oder wieder Deutschland unter den Füßen. Berlin, Frankfurt eigentlich nur ein Katzensprung, letzte Rast im Hunsrück und dann zu Hause. Abladen, verabschieden, ausräumen und dann erst mal lang machen auf der Chouch. Zu Hause, anstrengend aber eines der letzten Abenteuer in Europa erlebt.

Begegnung:

Frühstückszeit, 9:00 Uhr da steht ein Mann hinter mir und spricht mich an in einem etwas ungeübten aber fließendem Deutsch. Er freue sich über unsere Arbeit und Hilfe, er möge die Deutschen und ihre Art. Die Frage: "Woher hat der Herr so gut deutsch gelernt?" Er sei Kriegsfreiwilliger im zweiten Weltkrieg gewesen erläutert er. Dann erzählt er von damals: Er habe damals mithelfen wollen Lettland (Kurland) von der russischen Besatzung zu befreien. Er habe in dieser Zeit viel von den Deutschen gelernt und sie seither geschätzt. Dann wird er ganz ernst: Ob ich wisse, dass im zweiten Weltkrieg in Lettland bis zu 12.000 Soldaten alleine in der Gegend um Riga und auch rund um Tervete gefallen seien. Ob mir im Wald nicht die unterschiedlichen Krater und viereckigen Löcher aufgefallen seien? Dort wurde massiv gekämpft und auf beiden Seiten gestorben. Der Herr dreht sich um und geht nach einem kurzen Gruß schweigend weg. Bei der nächsten Fahrt durch den Birkenwald zur Unterkunft schaue ich schon genauer auf den Waldboden: kreisrund und eckig sind die Vertiefungen, Granateinschläge und Schützenlöcher nebeneinander, hunderte, unzählbare. Auch hier wurde gekämpft und gestorben. Da fällt einem die schon fast zugewachsene Raketenstation der russischen Armee für Langstreckenwaffen aus der Zeit des kalten Krieges in der Nähe der Kapelle ein. Für was und wen sind wir hier: Nicht nur ein Dach abdichten, nicht nur eine Partnerschaft pflegen. Nachdenklich hat dieses Ereignis gemacht und dies ist erhalten geblieben. Wir haben gemeinsam versucht etwas dagegen zu tun: Gegen das Vergessen und mit dabei ist ein gutes Stück Dankbarkeit für friedlich verlaufene Jahrzehnte.

Abschied:

Nach der offiziellen Feier und den Dankesworten der beiden Bürgermeister wurden noch Erinnerungsfotos rund um die Kapelle geschossen. Langsam sammelten sich die beteiligten Handwerker und Helfer an der Treppe zur Kapelle. Jeder für sich und doch gemeinsam könnte man die Stimmung beschreiben. Das Gespräch ist eigentlich belanglos, jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach. Keiner will so recht hier weg. Es wird immer stiller. Jeder nimmt auf seine Weise Abschied von der kleinen Kapelle. Die Reise, die Arbeit aber auch das gegenseitige Kennen und Schätzen lernen, der Sinn der Reise, alles das bewegt jeden Einzelnen von uns in anderer Weise.

Den steinigen, steilen Weg von der Kapelle zum Parkplatz hinab gehe ich gemeinsam mit Thomas Bungert. "Ich hätte jetzt nichts mehr reden können, ich habe jetzt noch einen Kloß im Hals und rote Augen. Wie geht es Dir?" fragt er. Ich sehe ihn an und kann nur nicken. Ein Abschied halt, kein einfacher, ein tief bewegender wie selten.

Hermann Josef Klockner, Ortsbürgermeister